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Dublin, 1707: Wissen im Exil – Marsh’s Library und die Hugenotten

admin

Es ist ein grauer, regnerischer Tag in Dublin. Die Straßen glänzen nass, und zwischen den Mauern der St. Patrick’s Cathedral öffnet sich ein unscheinbares Tor – der Eingang zur Marsh’s Library, die seit über 300 Jahren nahezu unverändert ist.

Marsh’s Library – Ort des Wissens und persönlicher Begegnung

Direkt neben der St. Patrick’s Cathedral liegt diese stille, kraftvolle Bibliothek – für mich ein echtes Highlight als Nachfahre von Glaubensflüchtlingen. Die Aufsicht vor Ort erzählte uns, dass die Bibliothek 1707 eröffnet wurde und als erste öffentliche Bibliothek Irlands gilt.

Hohe Regale aus baltischer Eiche, der Geruch alter Bücher und die vergitterten Lesekäfige aus dem 18. Jahrhundert prägen das Bild. Diese Käfige dienten einst dazu, wertvolle Bücher vor Diebstahl zu schützen – Leser wurden darin eingeschlossen, solange sie die Werke nutzten.

Hier arbeitete Élie Bouhéreau (1643–1719), ein hugenottischer Flüchtling aus La Rochelle, als erster Bibliothekar. Uns wurde berichtet, dass er nach der Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 mit Frau und sieben Kindern nach Irland floh. Seine wertvolle Bibliothek von über 2.200 Bänden ließ er zum Teil später aus Frankreich nachholen – Theologie, Medizin, Philosophie und Geschichte – und machte sie zur Grundlage der neuen Bibliothek. Ihre Übergabe war Bedingung für seine Anstellung.

Die Tagebucheinträge Bouhéreau’s habe ich recherchiert. Darin berichtet er nüchtern von seiner Flucht:

„Nach der Aufhebung des Edikts von Nantes … sammelte ich, was ich von meiner Familie konnte, und reiste im Januar 1685/6 nach England. Gott hat mir den Rest meiner Familie zurückgegeben – mit Ausnahme meiner jüngsten Tochter, die man mir noch in einem Kloster in La Rochelle vorenthält; – um deren Freiheit ich täglich bete.“

Und ebenso knapp vom Tod seiner Frau:

„Marguerite starb am 22. Mai 1704.“

Zwischen den hohen Regalen und den verschlossenen Käfigen spürt man den Wert, den Wissen in Zeiten von Verfolgung und Umbruch hatte. Für mich war es ein stiller, sehr persönlicher Moment: in diesem Raum zu stehen, umgeben von Büchern, die einst von einem Flüchtling gerettet wurden – und die heute frei zugänglich sind.

Auch andere Details, die man uns erzählte, unterstreichen die besondere Atmosphäre dieses Ortes: Einschusslöcher in Regalen und Büchern vom Osteraufstand 1916, als britische Truppen auf Rebellen in der benachbarten Kathedrale feuerten, und der Schädelabguss von Esther „Stella“ Johnson, der engen Vertrauten von Jonathan Swift, in einem der Lesekäfige. Swift selbst war ein Besucher der Bibliothek und liegt in der St. Patrick’s Cathedral begraben.

Der Hugenottenfriedhof

Nur wenige Minuten von der Bibliothek entfernt liegt der Hugenottenfriedhof an der Merrion Row. Dieser wurde 1693 angelegt und bis 1901 genutzt.

Heute sind 34 Grabsteine erhalten, eine Gedenktafel nennt 239 Namen Hier fanden Kaufleute, Handwerker und Geistliche ihre letzte Ruhe – viele von ihnen waren, wie Bouhéreau, Geflüchtete, die in Dublin eine neue Heimat fanden.

Hintergrund: Die Hugenotten in Irland

Die Hugenotten flohen nach der Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 vor Verfolgung. Mehrere tausend fanden in Irland Zuflucht, viele davon in Dublin. Sie brachten Fachwissen aus Handwerk, Textilindustrie, Medizin und Finanzwesen mit. Besonders in den Vierteln Liberties und rund um die French Church Street ließen sie sich nieder. Straßennamen wie D’Olier Street oder Familiennamen wie Le Fanu erinnern noch heute daran.

Fazit

Die Marsh’s Library und der Hugenottenfriedhof sind mehr als historische Orte – sie machen Geschichte erfahrbar. Die Erzählungen vor Ort, die Bücher, sowie die nüchternen Zeilen Bouhéreau’s lassen die Geschichte der Hugenotten und Dublins lebendig werden – gerade an einem regnerischen Tag in dieser Stadt.

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